Jetzt ist wieder die Zeit der Bilanzen - natürlich auch im Sport. 2006, das dürfte klar sein, wird als Jahr des Klinsmannismus in die Geschichte eingehen. Es war ja auch erstaunlich, wie der Schwabe mit seinen Kickern ein gämliches Volk in allgemeine Verzückung stürzte. So was schaffte vorher nur der Badener Boris B. 1985 mit einem Sieg in Wimbledon und, mit Abstrichen, der Rostocker Jan U. 1997, als er im gelben Trikot die Tour die France beendete.
Jener U. steckt jetzt allerdings dick im Schlamassel, was daran liegt, dass sich auch 2006 wieder die Wissenschaft in den Sport eingemischt hat - mit teilweise katastrophalen Ergebnissen. Es scheint so zu sein, dass viele junge Athleten ohne die liebevolle Unterstützung von Phamakologen und Medizinern maximal zum Bäcker radeln oder ein wenig über die Wiese joggen können. Wenn es aber um erste Plätze geht, dann kommt die Wissenschaft mit allerlei Tricks. Unterstützt werden die Herren in Weiss von dubiosen Hintermännern, also der Mafia. Das ist spannend, aber auch schade, weil viele junge Sportler wegen der Doperei wohl schon vor Renteneintritt von seltsamen Gebrechen hinweggerafft werden oder wahlweise mit Damenbart und Schrumpfhoden leben müssen. Ausserdem hat sich die Wissenschaft schon so oft geiirt, dass bezweifelt werden kann, ob Doping überhaupt etwas bringt!
Vor 103 Jahren, bei der ersten Tour de France, war die gängige Lehrmeinung, dass Rauchen unmittelbar vor dem Start die Lunge erweitere und somit ein besseres Atmen ermöglicht. Also rieten studierte Ärzte den Sportlern zur tiefen Inhalation, was der erste Toursieger Maurice Garin 1902 bereitwillig beherzigte. Heute beurteilt die Wissenschaft das Rauchen ein wenig anders, aber damals fuhren die Knaben auf schlechten Straßen mit schweren Rädern oder Freilauf und Schaltung Etappen bis zu 450 Kilometern. Und das am Tag und mit Nikotin. Kein Witz.
Es ist noch gar nicht so lange her, da sagten die Experten, dass Trinken beim Sport gaaaaanz schlecht sei. Wasser macht müde, predigte Sepp Herberger seinen Kickern, die trotzdem 1954 Weltmeister wurden. Auch beim Radeln versuchten die Profis damals, so wenig wie möglich zu trunken, und wenn dann Bier oder Rotwein mit Ei. Auch kein Witz. Heute saufen die Sportler wie Kamele, bis zu zwölf Liter Wasser am Tag, weil die Wissenschaft sagt, dass das so sein muss. Aber stimmt es denn auch?
Schwer zu sagen, aber der Sportler macht trotzdem brav, was der Weißkittel sagt. In den 70er Jahren zum Beispiel durfte man als Ausdauerathlet alles essen, ausser Brot, Reis, Nudeln oder Kartoffeln. Um Himmels willen keine Kohlenhydrate. Es gab Steak und Salat und am Ende noch ein Jumbobecher Vanilleeis. Alle Kraft kommt aus dem Eiweiß, hieß es. Alles vorbei: Bis vor zwei Jahren aßen sie schon zum Frühstück Spaghetti, Fleisch gab es allenfalls gelegentlich und dann auch nur ein bisschen Hünhchen. Man glaubte zu wissen, dass Eiweiß Teufelszeug und Kohlenhydrate gaaaanz wichtig seien.
Heute heißt es, man solle sich ausgewogen ernähren, also von allem etwas zur richtigen Zeit. Damit ist man 2006 so wei wie vor 100 Jahren, nur dass heute keiner mehr raucht vor dem Start. Aber villeicht kommt das ja auch wieder.
Besser wäre allerdings, die Sportler würden nicht immer alles glauben, was die Weißkittel sagen. Die Wissenschaft mag ja manchmal Recht haben, muss aber nicht. Also weiß auch keiner, ob der ganze Spritzenkram tatsächlich was bringt außer Geld für die Mafia.
Probiert es lieber mal Rotwein und Ei - in überschaubaren Dosen schadet das zumindest nicht.
Quelle: Sonntag Aktuell, Jürgen Höhle